Faust diesmal ganz ohne Todessehnsucht! Offensichtlich hat die Bezie-hung zu Gretchen seinem leeren Selbst vorübergehend Inhalt und Sinn gegeben und seiner Identität Kohärenz.
Das Gegen-Ideal zum Faust ist in zwei Figuren aufgespalten: Wagner und Valentin.
Wagner widmet sich fleißig den wissenschaftlichen Studien. Dabei ist er pedantisch, beschränkt, unkritisch, fortschrittsgläubig, ein rechter Tropf.
Wagner. ...
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh3 man nur den halben Weg erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel sterben. ...
Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht. ...
Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.
Doch morgen, am ersten Ostertage,
Erlaubt mir ein und andre Frage.
Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen;
Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wisssen.
Menschenscheu lebt Wagner in seiner Studierstube. Auf dem Osterspa-ziergang erklärt er sich so:
Wagner.
Mit euch, Herr Doktor, zu spazieren; *
Ist ehrenvoll und ist Gewinn; Doch würdJ ich
nicht allein mich her verlieren, Weil ich ein
Feind von allem Rohen bin. Das Fiedeln,
Schreien, Kegelschieben Ist mir ein gar
verhaßter Klang; ... (WA I, 14, 50 f.)
Dem maßlosen Faust gegenübergestellt also ein Muster an Beschränktheit und Eigenbrötelei.
Auch Valentin wirkt sehr eingeengt auf einige wenige Begriffe wie soldatische Ehre, Bravheit und die Tugend seiner Schwester. Er ist das, was Goethe und seine Zeit mit dem Begriff brav charakterisiert (siehe auch Götz, Beaumarchais und Albert). Er stirbt im Zweikampf mit Faust, der von Mephisto unterstützt wird.