Erschreckend wirkt der Ausbruch von Haß und Verachtung, mit dem
der sterbende Valentin Gretchen vor den herbeilaufenden Nachbarn verurteilt:

„... Ich sag' dir's im Vertrauen nur:
Du bist doch nun einmal eine Hur5;
So sei's auch eben recht... Du fingst mit Einem heimlich an5 Bald kommen ihrer mehre dran, Und wenn dich erst ein Dutzend hat, So hat dich auch die ganze Stadt... Ich seh' wahrhaftig schon die Zeit, Daß alle brave Bürgersleut', Wie von einer angesteckten Leichen, Von dir, du Metze! seitab weichen... Und, wenn dir denn auch Gott verzeiht, Auf Erden sein vermaledeit!“ (WAI, 14, S. 189f).

Dieser Text ist an Sado-Masochismus kaum zu überbieten.
Gretchen endet im Gefängnis als Kindsmörderin. Aber schon in der Walpurgisnacht kommen Faust Mordphantasien, als er Gretchens Gestalt erblickt:

„Welch eine Wonne! Welch ein Leiden! Ich kann von diesem Blick nicht scheiden. Wie sonderbar muß diesen schönen Hals Ein einzig rotes Schnürchen schmücken, Nicht breiter als ein Messerrücken!"
(WAI, 14, S. 211).

Gretchens Mutter stirbt an einem Gift, das Faust Gretchen als Schlafmittel für die Mutter übergibt. Dies reflektiert sicherlich Goethes Mordimpulse seiner eigenen Mutter gegenüber.
Eissler deutet diese Mordimpulse aus Goethes Rivalität mit seiner Mutter, wer Cornelia nähren dürfte. Näherliegend scheint mir der Haß auf die Mutter zu sein, die sich vom Sohn der Tochter zuwendet.

232