(Eissler 1985, 1029 ff) Ein Mantel, spielt ja auch in der Faust-Dichtung eine ganz besondere Rolle: auf einem Mantel reisen nämlich Faust und Mephisto während der ganzen Faust-Dichtung von Geschehen zu Geschehen, auch zur Szene Klassische Walpurgisnacht
Den Mantel her. Und um den Ritter umgeschlagen! (6983 ff) Der Lappen wird euch, wie bisher. Den einen mit dem andern tragen.
In Analogie zu Eisslers Interpretationen können wir annehmen, daß der Mantel auch in der Faust-Dichtung Fetisch-Charakter hat.
Kinderzahl der Familie Caspar Goethe und Anzahl der Kabiren in der Szene
Goethes Eltern hatten sieben Kinder, Goethe selbst hatte drei Brüder (davon der zweite am 11.4.1756 totgeboren) und drei Schwestern. Insgesamt waren es also drei Mädchen und vier Knaben, die den Eltern Goethes geboren wurden.
In der Szene Klassische Walpurgisnacht nun kommen sieben Kabiren vor (Trunz 1996, 653: Wesen von kleiner Gestalt mit großen Zeugegliedern). Hier hat Goethe offenbar Figuren der Mythologie entnommen, die kindliche ödipale Wünsche zum Ausdruck bringen bzw. darstellen könnten. Die Kabiren könnten hier für die Kinder der Familie Caspar Goethe stehen, also für Johann-Wolfgang und seine Geschwister einschließlich der Totgeburt:
Nereiden und Tritonen:
Wir bringen die Kabiren, (8178 ff)
... Drei haben wir mitgenommen,
Der Vierte wollte nicht kommen,
Er sagte, er sei der Rechte
Der für sie alle dächte...
Sind eigentlich ihrer Sieben. (8194)
Sirenen:
Wo sind die drei geblieben? (8194)
Nereiden und Tritonen:
Sind im Olymp zu erfragen; (8196)
Dort wes't auch wohl der Achte,
An den noch niemand dachte.
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Eissler meint: „Es war in der Tat ein ständiges Kommen und Gehen von Kindern mit sechs Schwangerschaften bis zu Goethes 11. Lebensjahr. Es ist kaum anzunehmen, daß der erwachsene Goethe sich bewußt an die Zahl und das Geschlecht seiner Geschwister erinnerte ... In Dichtung und Wahrheit nimmt die Schwester Cornelia einen herausragenden Platz ein, die anderen Geschwister dagegen sind nur nebenbei erwähnt". (Eissler 818 f)
Eissler meint, Wilhelm Meisters Kindheit sei deutlich im autobiographischen Stil geschrieben. In einer Hinsicht scheine Goethe bei der Darstellung seiner Familie im Irrtum gewesen zu sein:
„Er behauptete, der alte Meister habe zwei Söhne und drei Töchter. In Wirklichkeit hatte Goethes Vater drei Söhne und drei Töchter. (Es gab noch eine Totgeburt, als Goethe 7 Jahre alt war, die ich hier nicht einrechne.)" Eissler vermutet weiterhin: „Mit dieser Zahl der Kinder verriet er einen wichtigen unbewußten Gedanken, nämlich die Phantasie oder den unbewußten Wunsch, diese Kinder möchten seine eigenen sein... Wie schon erwähnt, war Goethe während dieser Jahre seiner Kindheit sehr nahe." (819) Eissler führt weiterhin aus: „Wenn Bettina von Arnims Bericht zu trauen ist, fühlte sich Goethe in jungen Jahren umgekehrt eher als Herr seiner Mutter, denn als ihr Sohn. Die Geschichte würde also auch die Reduzierung der Zahl der Kinder des alten Meister um eins erklären - das im selben Atemzug als Liebhaber der Mutter wiederkehrt." (Eissler, 819-21)
Unter Einbeziehung von Eisslers Ausführungen über die Reduzierung der Kinderzahl des alten Meister (s. o.) könnten wir jetzt den Allgesang der Kabiren: „Wir ! ihr ! die Kabiren." (8218) dahingehend deuten: Goethe zählt sich einmal mit zur Kinderschar („Wir") seiner Eltern, ein anderes mal („ihr") nicht, sondern sich eher als Liebhaber der Mutter d.h. als Erwachsener wähnend (s. Eissler 1985, 819, 821). Goethe hat sich aber offenbar doch an die exakte Anzahl seiner Geschwister einschließlich des totgeborenen Bruders bei Niederschrift der Szene Klassische Walpurgisnacht, mindestens unbewußt erinnert, wahrscheinlich aber doch bewußt, wie noch ausgeführt werden wird.
Geht man davon aus, daß die Hexenküche, die Walpurgisnacht (Schöne 1994, 342) und der Walpurgisnachttraum sowie eben auch die Klassische Walpurgisnacht Wiederholungen der gleichen Thematik darstellen (Eissler 1983, 353; Scholz 1982,183), und dieses sich auch auf die Gedanken und Gefühlswelt des Knaben Goethe bezieht während der Schwangerschaften bzw. Geburten seiner Mutter, so müßten wir erwarten dür-
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