Spaltung wird von uns in Übereinstimmung mit Wurmser (ibid., 70) nicht als elementarer Abwehrvorgang, sondern als Folge von Abwehrvorgängen gesehen, eine Auffassung, die auch im Einklang mit Freud (1938) ist. Insbesondere narzißtische Abwehr hat eine extreme Ich-Spaltung z. B. in hohe Ehrlichkeit und Integrität und kriminelle Verlogenheit und Bru-talität zur Folge. (Wurmser, ibd., 224).
Im folgenden soll untersucht werden, wie Figurenpaare in Goethes Dichtung Produkt solcher Spaltung sind. Dabei soll der Frage nachge-gangen werden, welche Erkenntnisse über Goethes Selbst und das Selbst-gefühl seiner Zeitgenossen aus diesen fiktiven Gestalten zu gewinnen sind.
Weisungen - Götz, Clavigo - Beaumarchais
Der Treulose und der Brave
Von Otto Rank (1926) wurde betont, daß die meisten Goetheschen Gestalten-Paare Projektionen des seelischen Widerstreites im Dichter darstellen. Bei den hier aufgeführten Figuren ist darüber hinaus bemerkenswert, daß Goethe die betreffenden Anticharaktere gleich zweimal gestaltet hat, 1773 im „Götz von Berlichingen" und 1774 im „Clavigo".
Adalbert von Weisungen war ein Jugendfreund des Götz von Berlichingen und mit ihm am Hofe des Landgrafen aufgewachsen. Inzwischen hat er sich von Götz getrennt und lebt am Hofe des mit Götz verfeindeten Bischofs von Bamberg.
Im Verlaufe der Fehde wird er von Götz gefangen genommen und als Geisel auf Berlichingens Burg Jaxthausen gebracht.
Weisungen wird als schöner und angenehmer Mann geschildert.
Bischof. Wenn Ihr die Ankunft dieses Mannes erwartet, werdet Ihr Euch freuen, den edelsten, verständigsten und angenehmsten Ritter in Einer Person zu sehen. (WA I, 8, 41)1
Und das
1 Goethes Werke sind nach der Weimarer Ausgabe (WA) zitiert: Hermann Böhlaus Nachf., Weimar (1887-1919).