erzählt. Noch heute findet sich eine Tapete im Schloß des Grafen, auf welcher Szenen aus dem Märchen dargestellt sind (Beutler, S. 658 ff). Durch die Datierung des Märchens von Sarasin und Schadewaldt ergäbe sich der Verdacht, daß es früher als die Tapete entstanden sein könnte (Sarasin, S.369; Schadewaldt, S.282). Am 20. 7.1831 schrieb Goethe an H. Meyer, daß er den 2. Teil des Faust seit vielen Jahren als ein „inneres Märchen" mit sich herumtrug. Bei aller Vorsicht, die eventuell fiktiven Träumen gegenüber geboten ist, sei eine kurze Interpretation gewagt:

Zu Traum 1: In der Nacht vor Pfingstsonntag träumt Goethe, daß er sich ankleidet. Es trat Merkur auf, als Abspaltung Goethes (E. Staiger, Bd. I, S. 16), kenntlich daran, daß Goethes Locken wie „Flügelchen" gekämmt waren. Die Versuchungen der Welt, Goethe gereicht in Form der Äpfel, zugleich Symbol für weibliche Brust, sind ihm nicht erlaubt. Die Äpfel werden zu Frauengestalten. Als er das Verbot zu übertreten gedachte, indem er das vierte Frauenzimmer von Puppengröße, das „Mädchen", zu greifen versuchte, wurde er „betäubt", kam in Gefahr (S. 51 f).

Zur Deutung der Frauengestalten und des in Traum 1 enthaltenen Helena-Paris-Themas bietet sich Freuds Aufsatz „Das Motiv der Kästchenwahl" an, worauf schon Eissler bezüglich der Interpretation der Helena-Paris-Szene am Ende des ersten Aktes Faust II hinwies (Eissler, dt., S. 321 und Anm. Nr. 38). Eine Doppelfunktion der Alerte als Aler-te-Helena nahm bereits Schadewaldt an (Schadewaldt, S.271). Man kann vermuten, daß in Alerte zugleich auch die drei Frauen aus Traum 1 als Verdichtung enthalten sind, denn sie befanden sich z. B. zuvor an dem gleichen Ort, den Fingerspitzen, und waren auch von Puppengröße, Alerte sogar etwas kleiner als jene (S. 52). Eine ihrer Eigentümlichkeiten ist die Stummheit, von Freud als eine gebräuchliche Darstellung des Todes interpretiert. Somit enthielte Alerte zugleich auch entsprechend Freuds Deutung die Todesgöttin, den Tod. Analog zu König Lear hascht Goethe in Traum 1 vergebens nach der Liebe des Weibes. Es berührt ihn die dritte der in Alerte enthaltenen Schicksalsfrauen, die Todesgöttin. Entsprechend Freuds Deutung könnte man sagen, daß die

drei Frauen „die drei Formen, zu denen sich das Bild der Mutter im Laufe des Lebens wandelt", enthalten (Freud, 1913). Somit enthielten sie und Alerte symbolisch das Mütterliche, damit auch Anteile von Goethes Mutterimago. Eissler vermutet, daß „Puppe" für Mutter bei Goethe stehen könnte. Er meint, daß Goethes präödipale Erfahrungen und Verwirrungen, Eissler erwähnt dabei z.B. Goethes frühe Erfahrung der Unfähigkeit seiner Mutter, ihn zu stillen, zu Goethes Bilderwelt des Theaters unbewußt beigetragen haben. Er meint Goethe habe die Nähe seiner Produktionen zu ödipalen, sogar präödipalen Verwirrungen gefühlt (Eissler, dt., S. 316 f). Handelte es sich bei Traum 1 um einen Traum, wäre es legitim, eine Traumdeutung zu wagen. Dreht man versuchsweise die Größenverhältnisse am Ende des Traumes um, so ist Alerte groß und Goethe von Puppengröße, deutbar als Symbol frühester Kindheit. Eissler wies schon auf die Identifizierung Goethes mit „Puppe" hin; er vermutete eine präödipale Identifizierung Goethes mit seiner Mutter (Eissler, S. 829; Dettmering 1, S.27; Lange-Kirchheim, S. 133 ff). Er erwähnt Goethes Phantasie, seine Mutter habe dem ungeliebten Ehemann keine lebensfähigen Kinder schenken wollen und weist auf den Beginn von „Dichtung und Wahrheit", wo Goethe schreibt, er kam „für tot" auf die Welt. Eissler hat auf die Bedeutung von Geburt, Bewußtlosigkeit und Amazone als Muttersymbol bei Goethe hingewiesen. Er meint, die mit der Mutter verbundene Bildwelt Goethes sei im Faust II, 1. Akt, im Dialog zwischen Mephisto und Faust (bevor Faust zu den Müttern hinabsteigt), beschrieben. Er weist dabei auch auf die Helena-Paris-Szene, es seien die präödipalen Mütter ge­schildert. Sie symbolisierten den uranfänglichen Beginn des Lebens und wären Goethes eigene Schöpfung (Eissler, dt., S. 303-321, S. 871 f, S. 905-913). Schadewaldt meint, der Traum 1 entspräche dem 1. Akt Faust II (Schadewaldt, S.267f). In Übereinstimmung mit Schadewaldts und Eisslers Interpretationen ist denkbar, daß in Traum 1 und im ersten Akt Faust II Goethes aus frühester, präödipaler Erfahrung und Verwirrung entstandenes Material, welches zu seiner Bildwelt des Theaters beigetragen hat, und Goethes Phantasien über seinen Geburtsverlauf enthalten sind (vgl. Paralipomenon 98 zum Faust II).
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