Meph./:laut:/
Ich eile nun und such im vollem Lauf
Der neusten Tage kühnsten Meisel auf
Mit Gott und Göttin laßt cuchs dann gefallen
Gesellt zu stehen in heiligen Tcmpelhallen

Dann folgt wie in den üblichen Textausgaben:

Vor aller Augen muß ich mich verstecken, im Höllenpfuhl die Teufel zu erschrecken. ab.

Ob dies nun ein „Abschreiberversehen" war oder nicht, auf jeden Fall zeigen die Verse Goethes Wissen über das Außordentliche seiner Entdeckung. Ich halte das Fehlen dieser vier Zeilen übrigens nicht für ein Abschreiberversehen, sondern Goethe, bzw. Mephisto, hatte doch gera­de mit „der neuesten Tage kühnsten Meisel" das Unbewußte dargestellt, nämlich mit Goethes Schreibfeder.

Vorher sagt Goethe (7967), daß Mut dazugehöre, sich den Phorkya-den, die in Einsamkeit versenkt sind, zu nähern. Goethe weist auch dar­auf hin, daß die Phorkyaden häßlich und der Welt entrückt sind. Bei den Griechen steht Häßlichkeit für das Böse z. B. Aggressivität oder Angst. Goethe weist auch darauf hin, daß die Phorkyaden nicht im Licht der Welt erblickt werden können. Sie müssen durch eine Schranke, wohl wie eine Zensur im Dunkeln bleiben: „gib uns kein Gelüsten! Was hülf es uns" (8009).

Daß Goethe in den oben genannten Zeilen, das für Übertragung, Verdichtung und Verschiebung verantwortliche psychische System be­schrieben hat, ein System, das so gut wie allen unbekannt sei (bis dahin), ist wohl sehr wahrscheinlich. Dies ist veranschaulicht durch die Gespräche der Phorkyaden und Gespräche der Phorkyaden mit Mephisto und entsprechende Darstellungen. Es handelt sich hier um den Bereich, der für Übertragungen (bzw. Projektion) verantwortlich ist. „Man kann sich selbst auch andern übertragen." (8013) Des weiteren ist dargestellt, daß für eine Übertragung, beziehungsweise Identifizierung, ein Merkmal genügt (deshalb vermutlich ein als im Text geschrieben?).

Euch Dreien g'nügt Ein Auge, g'nügt Ein Zahn, (8014 f) Da ging' es wohl auch mythologisch an

Goethe stellt hier auf der Bühne zugleich die Gesetze des Unbewußten dar, wie die Primärvorgänge, z. B. die Verdichtung auch in: „In zwei die Wesenheit der drei zu fassen." (8016) Des weiteren wird der Vorgang der Verschiebung dargestellt. „Der Dritten Bildnis mir zu überlassen" (8017). Daß es sich um den Bereich auch der Symbolbildung und Verdichtung handelt, wird auch durch das Wort ,,Hermaphroditcn"(8029) dargestellt, die Symbolisierung der Bisexualität.

Schlußbetrachtung

Bei der Entdeckung einiger Prinzipien der Traumarbeit und des Unbe­wußten war die Metamorphosen-Idee des Naturforschers Goethe ver­mutlich von entscheidender Bedeutung.

Und hinter solcher Wänglcin Rosen (7756 f) Furcht' ich doch auch Metamorphosen.

Goethe sagte 1827 in einer Gesprächsrunde:

Ja, die Alten sind auf jedem Gebiete der heiligen Kunst unerreichbar! Sehen Sic, meine Herren, ich glaube auch etwas geleistet zu haben, aber gegen einen der großen Attischen Dichter, wie Äschylos und Sophokles, bin ich doch gar nichts. (Goethe 4, Gespräche 1827, 259 ff. Digitale Bibliothek Band 10: Goethe: Briefe, Tagebücher, Gespräche, 30821 (vgl. Goethc-Gespr. Bd. 6, 206 ff.))

Dies meinend hat Goethe sein dichterisches Genie vermutlich dazu be­nutzt, seine psychoanalytischen Erkenntnisse zu veröffentlichen, wenn auch verschlüsselt.

Den Eros hat Goethe immer hoch gehalten, seine Macht nie zu verkleinern versucht (s. Freud 1930, 294). Freud meinte zudem, daß in be-zug auf Goethe wir es noch nicht weit gebracht haben. Das rühre daher, daß Goethe nicht nur als Dichter ein großer Bekenner war, sondern auch trotz der Fülle autobiographischer Aufzeichnungen ein sorgsamer Ver­hüller (Freud 1930, 296). Wie Freud feststellte, fanden beide Persönlich­keiten, die des Künstlers und die des Wissenschaftlers in Goethes Leben Raum. Sie lösten einander zeitweise in der Vorherrschaft ab.

Freuds Frage, wie Goethe, die Gestalt des großen Universellen, sich verhalten hätte, wenn sein für jede Neuerung der Wissenschaft aufmerk-


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