Versuch einmal, dich innigst aufzulösen: „Dem frommen Manne nötig wie dem bösen, D e m ein Plastron, asketisch zu rapieren, Kumpan dem andern, Tolles zu vollführen, Und beides nur, um Zeus zu amüsieren".

Schöne meint:

Mit der Auflösung dieses Sphinxrätsels würde Mephisto sein eigenes Wesen bestimmen, sei­ne Doppelfunktion beim Welttheater unter den Augen des Göttervaters: der Fromme braucht ihn als Widerlager für seine Askese (wie ein Fechter für sein Rapier das lederne Plastron des Gegners), und der Böse benötigt ihn als Gehilfen für seine Schandtaten. (Schöne 1978, 538; Trunz 1996,636; Scheithauer 1978, 239; Beutler 1977, 786; Richter/Göpfert 1997, 850)

Ähnlich sind andere Deutungen dieses Rätsels in den bekannten Faust-Kommentaren. Auch ohne tiefgehende psychoanalytische Deutung kann man hierbei wohl eher (oder mindestens ebenso) an den Penis bzw. den Sexualtrieb denken (Was wohl auch im Grunde die vielen Faust-Kommentare tiefergehend meinen würden). Diese Deutung würde auch gut in den Gesamtzusammenhang passen. Mephisto (z. B. als „Freier" 7764) er­lebt imaginär Sexualität. Es wird in der Szene häufiger Geschlechtspart­nerinnenwechsel mit z.B. Prostituierten (Lacerte, Lamina, Empusa; s. Schöne 1994, 552 ff) gezeigt, bzw. auf der Bühne angedeutet.

Auch Inzest-Thematik (Eissler 1983, 237, 364) findet Darstellung, indem Mephisto während des Wechseins der Partnerinnen auch „Mühmchen.." (7756) in Betracht zieht (s. a. Schöne 1994,553). Auch die in der damaligen Literatur seltene Thematik der Masturbation (Eissler 1983, 305; Tiedemann 1988) findet eine Darstellung auf der Bühne (7777 £): „Da pack' ich eine Thyrsusstange!/Den Pinienapfel als den Kopf". (Schöne 1994, 554: Thyrsusstange. Pinienapfel: beim Dionysos-Kult ein von Feigenbaumholz geschnitztes männliches Glied, das an der Spitze oft einen Pinienapfel trug.)

Gleichzeitig wird mit dieser Thematik auf die Beziehung zwischen Mephisto und Plomunculus (als alter ego) hingewiesen indem er zu Homunculus sagt: „Willst du entstehn, entsteh' auf eigne Hand!" (7848) Auch die noch in Entwicklung befindliche Sexualität findet Erwähnung: „Thaies leise:/Er ist.. .hermaphroditisch." (8256) Daß alles nur imaginiert wird, stellt dann auch Mephisto klar, indem er meint (7999 f): „Ich möchte gerne mich betrügen/Wenn es nur länger dauerte."

Da deutlich wurde, daß es sich um Phantasiegebilde handelt, stellt sich die Frage, ob es im Text Hinweise dafür geben könnte, daß sich alles in einer speziellen, angedeuteten (Körper-)Region abspielt ? Solcher fände sich womöglich in der dazugehörigen Regiebeschreibung „Peneius". So ist bekannt, daß Goethe unentschlossen war, wie er dieses Wort schrei­ben wollte. Die geographische Region als Peneus oder Peneius. Auch dem psychoanalytisch ungeschulten Leser dürfte auffallen, daß in Pe­neius das Wort Penis enthalten ist. Später ist dann Peneios geschrieben worden. (Schöne 1994,542).

Goethe-Cäsar-Kastrationsangst

Die Flandlung der Szene Klassische Walpurgisnacht spielt in der Ebene von Thessalien und den angrenzenden Buchten des Ägäischen Meeres. Thessa­lien galt in der Antike als Hexenland. Die Zeit ist die Nacht auf den 9. Au­gust, der Jahrestag der Schlacht bei Pharsalus, die im Jahre 48 vor Ch. dort stattfand. Dort wurde Pompeius von Cäsar besiegt, ein Ort einer weltge­schichtlichen Stunde. Wie schon gesagt, spielt Goethe verschiedene Rollen, hier die des Cäsar, wobei Goethe den Kampf im Inneren seiner Person führt:

Denn jeder, der sein Inneres Selbst (7015 ff) Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern Des Nachbars Willen, eignem stolzen Sinn gemäß ... Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft. Wie sich Gewalt Gewaltigerem entgegenstellt,

(Es sei hier noch einmal daran erinnert, daß die ganze Szene (wie eben auch der ganze Faust II) Traumgeschehen ist, also inneres Erleben bzw. Geschehen. (Vcrgl. Schöne, der dies ebenfalls hier als Möglichkeit be­denkt, allerdings nur für diesen Szenenabschnitt. Schöne 1994, 524))

Zunächst spricht die antike Hexe Erichtho. Sie spricht in einem Vers­maß, das von da ab nicht wieder im zweiten Akt des Faust II vorkom­men wird, es bleibt dann Helena vorbehalten (Schöne 1994, 522; May 1972, 108). Dies Versmaß zeigt unterschwellig bereits an, daß hier eine Mutterimago (eine Hexe bzw. Helena; s.a. Dettmering 1996, 170f; Scholz 1982, 28; Tiedemann 1988) von Anfang an dabei ist.


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