Ob es sich bei der „Hexenküche" um einen überarbeiteten Traum oder aber einen „dichterischen Tagtraum" handelt, läßt sich wohl kaum entscheiden. Sicher aber ist, daß Goethe seine Fähigkeit, aus seinen Träumen Kunstwerke machen zu können oder sie in Kunstwerke einzugliedern, Gebrauch machte.

Dies gilt auch insbesondere für den Faust I, wie Goethe in einem Brief an Schiller darstellt: Goethe, der von Schiller oft gedrängt wurde, den Faust zu vollenden (Boerner S. 141), schrieb deshalb an Schiller am 22.6.1797 „...nun wünschte ich aber, daß Sie die Güte hätten, die Sache einmal in schlafloser Nacht durchzudenken, mir die Forderungen, die Sie an das Ganze machen würden, vorzulegen und so mir meine eigenen Träume als wahrer Prophet zu erzählen und zu deuten ... da übrigens die ganze Arbeit subjektiv ist: So kann ich in einzelnen Momenten daran arbeiten...".

Goethes Aufforderung an Schiller, ihm Goethes eigene Träume vorherzusagen und zu deuten, ist wohl ironisch zu verstehen. Sie zeigt einmal mehr wie zielstrebig Goethe seine Träume in seine dichterische Arbeit einbezog. In seinem berühmten Abschnitt über Hamlet in „Die Traumdeutung" sagt Freud: „Es kann natürlich nur das eigene Seelenleben des Dichters gewesen sein, das uns im Hamlet entgegentritt" (Freud 1900 a, S. 272). Das gleiche dürfte auch in bezug auf Goethe und seine Faust-Dichtungen Gültigkeit haben.

Zusammenfassung

Zu Beginn von „Dichtung und Wahrheit" erzählt Goethe, daß er als Kind eines Tages Puppen- und Küchengeschirr mit Freude zerstörte, indem er es hinauswarf. Freud äußerte den Verdacht, daß Goethe dieses zum Zeitpunkt einer Schwangerschaft oder Niederkunft seiner Mutter getan haben könnte und damit seiner Wut über die Schwangerschaft der Mutter und die Geburt des Geschwisterchens Ausdruck gab. Es finden sich in der „Hexenküche" des Faust I neben Beschreibungen, die sehr an das in „D.u.W." geschilderte Zerbrechen des Geschirrs denken lassen, noch weitere Anhaltspunkte, die die oben erwähnte Interpretation Freuds zusätzlich sehr wahrscheinlich klingen lassen. Es wird der Verdacht geäußert, daß die „Hexenküche" ein dichterisch überarbeiteter Traum oder „Tagtraum" Goethes sein könnte, der u.a. die erwähnte Erzählung zum Inhalt haben kann.

Summary

At the beginning of „Dichtung und Wahrheit" ("Poetry and Truth"), Goethe writes that one day in his childhood he threw out of the window with pleasure the dishes of the doll's house and the kitchen. Freud suspected that Goethe had done this while his mother was pregnant or giving birth to a child. By doing so, Goethe might have been giving expression to his anger about his mother's pregnancy or the birth of a sister or brother.

Apart from descriptions which remind one very much of the breaking of the dishes occuring in „Dichtung und Wahrheit", other guiding principles can be found in the „Hexenküche" („Witch's Kitchen") of Faust I, which also make Freud's Interpretation, mentioned above, sound very likely. Thus, the suspicion is uttered that the „Hexenküche" could be a dream and/or daydream poetically depicted by Goethe which could include the event mentioned at the beginning of „Dichtung und Wahrheit".

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